
Klischees mit Witz und Charme: „Tschüssikowski“ in Hamburg
„Tschüssikowski“ heißt eine Musical-Revue am Schmidt Theater Hamburg – und so leichtfüßig wie der Titel klingt, so ist auch der Abend selbst: bunt, laut, herrlich schräg und durchgehend urkomisch. Das Buch stammt von Martin Lingnau und Heiko Wohlgemuth, Regie führt Schmidt-Urgestein Corny Littmann, und der Abend gleicht einer pointenreichen Fernreise durchs Absurde.
Im Mittelpunkt steht die Familie Mustermeier, die sich nach einer Auszeit sehnt. Der Besuch im Reisebüro Schmidt-Reisen („Das Reisebüro zum Schmidtmachen, Schmidtlachen und Schmidtreisen“) bringt sie – mehr oder weniger gezielt – auf einen wilden Trip nach Ibiza. Was wie ein klassischer Familienurlaub beginnt, entgleist schnell in eine irrwitzige Aneinanderreihung von Reiseskizzen, klischeeverliebten Landeseinblicken und popkulturellen Anspielungen. Der rote Faden: Ein Erzähler, brillant gespielt von Götz Fuhrmann, der als Reisebüro-Inhaber mit pinkem Anzug durch den Abend führt, das Publikum direkt adressiert und die Handlung zusammenhält.
Es ist ein Kaleidoskop an Szenen, das sich entfaltet: Karibik-Klischees mit Strohhüten und Cocktailgläsern, eine ägyptische Pyramidenkulisse mit Mumienhumor, ein Ausflug nach Afrika. Im „König der Löwen“-Stil ziehen Giraffe, Elefant, Zebra und Löwe majestätisch durch den Zuschauerraum, während die Sonne wie in der bekannten Disney-Inszenierung über der Savanne aufgeht – ein hinreißender Moment zwischen Parodie und Hommage.
Veit Schäfermeier glänzt in diversen Nebenrollen und mausert sich zum eigentlichen Comedy-Star des Abends: Ob als einarmiger Extremsportler, schmierig-lustiger Tourist im Bikini oder mit wackeligem Überbiss als pubertierender Urlauber – seine Wandelbarkeit ist beeindruckend. Besonders charmant ist eine Szene mit der Videoleinwand, in der ein scheinbar attraktives Bikini-Model zur tollpatschigen Bühnenfigur mutiert – ein perfekter Gag, sauber gespielt.
Martin Rönnebeck überzeugt als Vater mit pointiertem Spiel und einem feinen Gespür für Timing. Besonders schön ist aber der Moment am Strand, in dem Mutter und Tochter (stark: Carolin Spieß und Marlene Niemeyer) ein ehrliches Gespräch über Körperbilder führen. Die Botschaft „Man ist gut so, wie man ist“ der Mutter berührt – und steht in wohltuendem Kontrast zur allgemeinen Klamauk-Stimmung.
Ein Running Gag zieht sich durch den Abend: Immer wenn der Sohn (großartig: Christian Petru) sich ein Eis wünscht, erklingt ein kurzes „Ice Ice Baby“-Sample. Petru spielt seinen Charakter irgendwo zwischen bockigem Kind und pubertierendem Teenager mit Freundin und sexuellen Ambitionen – das sorgt für Verwirrung, aber auch für viele Lacher.
Große Momente entstehen auch durch die Choreografie von Benjamin Zobrys. Da gleiten Gondolieri geradezu schwebend über die Bühne, tanzen synchrone Formationen in venezianischer Kulisse. Oder ein halbnackter Tarzan hampelt ironisch über die Bühne.
Immer wieder wechselt das Bühnenbild, gestaltet von Heiko de Boer und Heiko Wohlgemuth, mithilfe einer beweglichen LED-Leinwand und modularen Quadern, die clever beleuchtet neue Räume entstehen lassen. Auch das Kostümteam aus Frank Kuder und Verena Polkowski leistet Großes: Keine Szene gleicht der anderen, alles ist liebevoll überzeichnet – von der Alltagskleidung der Familie bis zu wildem Federschmuck und afrikanischer Tierwelt.
Politisch wird es ebenfalls. Wenn davon abgeraten wird, in Länder wie Russland, Nordkorea oder die USA zu reisen („Da regieren ja nur Irre!“) oder ein „Fuck AfD“ durch den Raum hallt, setzt das Musical gesellschaftliche Akzente – frech, aber nicht belehrend.
Musikalisch ist „Tschüssikowski“ ein Feuerwerk der Urlaubshits. Von „Wir fahren nach Mallorca“ im mehrstimmigen Chor bis zu spanischen oder italienischen Schlagern – während die Musik aus der Konserve kommt, wird hier live gesungen, in vielen Sprachen, immer mit Witz und Können.
Außerdem werden die Zuschauerinnen und Zuschauer eingebunden – ob beim Mitsingen, beim Gespräch mit dem Reiseberater oder beim Flirt der Assistentin mit einem Mann in Reihe eins. Das Publikum lacht, klatscht, johlt – und verlässt am Ende gut gelaunt das Theater. „Tschüssikowski“ ist ein Pflichttermin für alle, die mal richtig lachen wollen und mit einem Song im Ohr Richtung Sommerurlaub spazieren möchten.
Text: Jannic Hilla (unter Mitarbeit von Dominik Lapp)