Spannender Psychokrimi: „The Turn of the Screw“ in Hannover
Pandemiebedingt fand die Premiere von Benjamin Brittens Kammeroper „The Turn of the Screw“ an der Staatsoper Hannover im April 2021 zunächst nur online statt, erst zwei Monate später gab es ein paar wenige Vorstellungen vor Publikum. Jetzt wurde dieser spannende Psychokrimi wiederaufgenommen und besticht nach wie vor.
In der Inszenierung von Immo Karaman ist Schwarz die vorherrschende Farbe (Bühnenbild: Thilo Ullrich, Kostüme: Fabian Posca). Im Stil eines alten Schwarzweißfilms wird Bly, ein englischer Landsitz, Mitte des 19. Jahrhunderts dargestellt. In bester Hitchcock-Manier erlebt das Publikum ein Spiel aus Licht und Schatten (Licht: Susanne Reinhardt), das sich irgendwo zwischen Geistergeschichte und Psychodrama bewegt.
Dabei lässt der Regisseur offen, was sich tatsächlich abspielt und was nur in der Vorstellungswelt der Gouvernante geschieht, die sich in dem englischen Landhaus um zwei Kinder kümmern soll, dabei aber auf die Geister zweier ehemaliger Bediensteter stößt, die die Kinder in ihren Bann zu ziehen scheinen. Immo Karaman zeigt das alles wie in kurzen filmischen Schnitten, wodurch die Handlung an Tempo gewinnt und die Szenen fließend ineinander übergehen. Das sieht nicht nur eindrucksvoll aus, sondern zeigt die Abgründe der menschlichen Psyche auf.
Vor allem visualisiert die Inszenierung perfekt das, was Benjamin Britten einst musikalisch erdacht hat. Denn auch die Musik wechselt zwischen Licht und Schatten, zwischen Realität und Halluzination, zwischen Menschen- und Geisterwelt. Tiefer und tiefer dreht sich das Schraubenmotiv, das immer wieder in den unterschiedlichsten Variationen zu hören ist, in die Partitur und erhöht die Spannung. In einer ebenso ausdrucksmächtigen wie minimalistischen Besetzung erzeugt das Niedersächsische Staatsorchester unter dem Dirigat von Constantin Trinks eine eindrucksvolle musikalische Klangwelt, während sich auf der Bühne die Szenen in klaustrophobischer Enge zusammendrängen.
Die Rolle des von den Geistern heimgesuchten Kindes namens Miles soll nach Benjamin Britten mit einem Jungen vor dem Stimmbruch besetzt werden. Jakob Geppert, Solist des Knabenchors der Chorakademie Dortmund, meistert diesen anspruchsvollen Part mit seinem hellen Knabensopran nicht nur gesanglich bravourös, sondern verleiht seiner Rolle auch schauspielerisch eine erschreckend kühl-emotionslose Authentizität. Neben ihm versteht es Weronika Rabek, Miles‘ Schwester Flora, die ebenfalls von den Geistern heimgesucht wurde, mit ihrem angenehmen Mezzosopran ein glaubwürdiges Profil zu verleihen.
Als Gouvernante gelingt es Sarah Brady exzellent, den inneren Wahnsinn nach außen zu kehren. Mit einem großartigen Einfühlungsvermögen füllt sie ihre Rolle sowohl gesanglich als auch schauspielerisch aus und begeistert mit einer ungeheuren stimmlichen Varianz zwischen lyrischen Momenten und dramatischen Ausbrüchen. Immer weiter dreht sie die „Screw“, also die Schraube, bis diese schlussendlich überdreht und Miles daran zerbricht.
Den Prolog des Zweiakters singt Marco Lee mit leuchtendem Tenor, Monika Walerowicz überzeugt mit ihrem vollen Mezzosopran als Haushälterin Mrs. Grose, Barno Ismatullaeva gibt eine dämonische Miss Jessel und Sunnyboy Dladla lässt als Quint mit kräftigem Tenor aufhorchen, der genauso unter die Haut geht wie der gesamte Opernabend, der musikalisch wie inszenatorisch in vollem Maße überzeugt.
Text: Dominik Lapp