„Wie im Himmel“ in Bad Hersfeld (Foto: Johannes Schembs)
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Ein fast wunderbarer Theaterabend: „Wie im Himmel“ in Bad Hersfeld

Dieses Jahr führen die Bad Hersfelder Festspiele mit Joern Hinkels Inszenierung von Kay Pollaks „Wie im Himmel“ (Übersetzung: Jana Hallberg) das Publikum nach Schweden. Mit Schweden verbinden wir meist Birken und Holzhäuser, kleine Dörfer, freundliche unkomplizierte Menschen und das alle verbindende Du. Ein klein bisschen Bullerbü.

Bereits das Bühnenbild von Jens Kilian bedient all diese Vorstellungen und setzt doch eigene Akzente. Den Hintergrund dominiert ein Wäldchen aus lebenden Birken, die allerdings in den winterlichen Szenen etwas fehl am Platze wirken, aber die scheinbar heile Kindheitswelt verkörpern. Im Vordergrund können containergroße rollbare, nach vorne offene, möblierte Zimmer ohne Dach wie Puppenstuben nach Belieben verschoben und umgestellt werden. Links ist die alte Schule zu sehen, rechts das Pfarrhaus, in der Mitte die Kirche, zweistöckig mit einer Galerie. Alle Wände sind aus Holz und freundlich hell angestrichen. Ein kleiner Dorfladen vervollständigt das Bild.

Die Requisitenabteilung unter der Leitung von Doris Engel hat äußerst liebevoll schwedische Lebensmittel, Plakate und andere Gegenstände aufgetrieben und unaufdringlich damit das passende Ambiente geschaffen. Die manchmal vielleicht reichlich hinterwäldlerischen Kostüme von Kerstin Micheel unterstreichen das dörfliche Szenario.

Es geht um Musik, um Mobbing, um eheliche Gewalt, Glaubensfragen, Lebenslügen und selbstverständlich auch um die Liebe, das alles kulminierend in einem Laienchor, der sehr glaubhaft von echten Bad Hersfelder Laienchorsängern und natürlich den Schauspielerinnen und Schauspielern gespielt und gesungen wird.

Sehr schade und ein echtes Manko ist daher der Sound. Die Mikrofone sind entweder ungeschickt angebracht oder der Toningenieur hat nicht aufgepasst, denn es werden viel zu viele Nebengeräusche mit übertragen. Ein erstaunlich großer Teil der Darsteller klingt nach nicht richtig passender Zahnprothese – was sich an sich, wäre denn tatsächlich einmal eine solche beteiligt, aussteuern lassen sollte. Darunter leidet nicht nur die Verständlichkeit, sondern auch der Groove: es stört einfach.

Hiervon abgesehen, ist die schauspielerische Leistung der Mitwirkenden beachtlich. Daniel Daréus wird von Henry Arnold fast schüchtern mit leicht autistischen Zügen, manchmal ein bisschen zu viel Pathos, aber erstaunlich virtuosem Klavierspiel grundsympathisch auf die Bühne gebracht.

Lena, die Daniel zu lieben lernt, wird von Helena Charlotte Sigal jugendlich frisch mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Naivität und Resignation gespielt und mit einer sehr schönen Folk-Stimme gesungen. Gabriella wird von Sandy Mölling sehr überzeugend als misshandelte, verschreckte Ehefrau gegeben, allerdings stellt man sich unter der angekündigten fantastischen Solostimme tatsächlich ein bisschen mehr vor.

Ganz ausgezeichnet wird der verbiesterte, bigotte Pfarrer Stig von Jürgen Hartmann dargestellt, der seine Figur eine glaubhafte Wandlung durchleben lassen darf. Bettina Hauenschild gibt ihm als seine Ehefrau Inger ordentlich Kontra, sie ist warmherzig, humorvoll, einfühlsam und energisch zugleich. Wolfgang Seidenberg spielt den geschäftstüchtigen Organisator Arne, der sich nur sehr unwillig um seinen geistig behinderten Neffen Tore kümmert, mit genau der richtigen Portion Komik. Tore wird von Peter Englert absolut brillant verkörpert, mit allen Nuancen von Nichtbegreifen, kindlicher Freude, großem Entsetzen, als er in die Hose macht, und naiver Begeisterung, als er mitspielen darf: eine Glanzleistung!

Ebenfalls glänzend dargestellt wird Holmfrid, der ebenso wie Daniel als Kind Mobbingopfer war, auch im Erwachsenenalter erstaunliche Geduld zeigt und irgendwann seinen Zorn hinausbrüllt, von Günter Alt. Brigitte Grothum spielt als schwerhörige Olga eine wunderbare komische Alte, und Walter Kreye gibt ihren langjährigen Verehrer Erik verlässlich und väterlich, doch immer energisch, sobald er gebraucht wird. Anna Graenzer als Siv und Marina Lötschert als Amanda setzen humorvolle Akzente, Thorsten Nindel spielt den Agenten mit genau der richtigen Portion affektierter Borniertheit.

Zum Publikumsliebling wird Mathias Znidarec als prügelnder Conny ganz und gar nicht, er spielt den Bösewicht derart überzeugend, dass er vom Publikum tatsächlich abgelehnt wird, was man unverdienterweise am Schlussapplaus merkt. Doch das ist tatsächlich die leicht bittere Krone und das größte Lob einer hervorragenden Darstellung.

Wenn man bedenkt, dass das Thema des Stücks das Zusammenwachsen eines Chores ist, wird zu wenig Chormusik (Musik: Jörg Gollasch) geboten. Man hätte statt einiger Längen, wie zum Beispiel das ausufernde Fahrradfahren, besser mehr Chorgesang einbauen können. Auch der Schluss erschließt sich nicht ganz: Eigentlich ist Daniel mit seinem Chor nach Wien gereist. Warum stirbt er dann, während der Chor gerade im Wettbewerb singt, im schwedischen Wäldchen? Man könnte überlegen, ob das Wäldchen für seine behütete Kindheit steht, allerdings war die eben nicht behütet, sondern von Mobbing und Unverständnis geprägt. Vielleicht ist eine Aussöhnung mit früheren Traumata gemeint? Weniger Längen, weniger Raum für Spekulationen, dafür mehr Chormusik – dann wäre „Wie im Himmel“ ein wunderbarer Theaterabend. Aber auch so ist es solide Unterhaltung und durchaus zu empfehlen.

Text: Hildegard Wiecker

HINWEIS | Die Bad Hersfelder Festspiele zeigen das Schauspiel „Wie im Himmel“ von Kay Pollak (Musik: Jörg Gollasch, Übersetzung: Jana Hallberg), nicht das Musical von Kay Pollak (Musik: Frederik Kempe, Übersetzung: Gabriele Haefs und Roman Hinze).

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Hildegard Wiecker schreibt leidenschaftlich gern und hat Erfahrung als Rezensentin bei thatsMusical gesammelt, bevor sie zu kulturfeder.de kam.