Broadway-Sound: „Wie man Karriere macht, ohne sich anzustrengen“ in Hildesheim
Frank Loessers Musical „Wie man Karriere macht, ohne sich anzustrengen“ ist zwar schon ein richtig alter Schinken, wird aber nur selten gespielt. Uraufgeführt im Jahr 1961, erzählt es die Geschichte von einem faulen Fensterputzer, der es beruflich in Windeseile bis zum Aufsichtsratschef eines Weltkonzerns schafft. Es ist nicht nur Loessers letztes, sondern wahrscheinlich sogar bestes Musical – das wird nun auch am Theater für Niedersachsen in Hildesheim in einer kurzweiligen Inszenierung von Matthias von Stegmann deutlich.
Als Gemeinschaftsproduktion von Musical- und Opernensemble ist hier nicht nur auf der Bühne richtig viel los, sondern auch im Orchestergraben. Das ist schon bei der rhythmischen Ouvertüre erkennbar, als ein grandioser Broadway-Sound das Auditorium erfüllt und zum Mitwippen verleitet. Insgesamt ist bei diesem Stück relativ wenig Musik zu hören. Denn im Verlauf der knapp dreistündigen Vorstellung kommen gerade einmal 21 Songs, darunter einige Reprisen, zu Gehör. Aber immer dann, wenn das Orchester unter der Leitung von Florian Ziemen spielen darf, erweist sich das jedes Mal als Höhepunkt. Nur noch selten hört man solch groß orchestrierte Musicals mit so einem klaren und satten Sound, wie es in Hildesheim der Fall ist.
Die Musikerinnen und Musiker werden der Partitur von Frank Loesser (Musik und Songtexte) vollends gerecht, die vor allem swing- und jazzinspirierte Nummern beinhaltet, die nicht selten einen Bewegungsdrang beim Publikum erzeugen, weil die stetigen Bass-Patterns ein treibendes Gefühl vermitteln. Als Pendant dazu gibt es aber auch Songs mit entspanntem Tempo und weniger belebtem Rhythmus sowie mit gleichbleibendem Takt, exaktem Tempo und einer durchgehenden Melodie. Selbst Marsch und Gospel fehlen in Loessers starker Mixtur nicht.
Doch nicht nur musikalisch kann „Wie man Karriere macht, ohne sich anzustrengen“ überzeugen, denn Simon Lima Holdsworth hat ein funktionales Bühnenbild und wunderbare Kostüme geschaffen. Der Ausstatter zeichnet ein klassisches Sechzigerjahre-Bürobild, indem er auf die grauen Nadelstreifenanzüge der Herren die Glockenröcke und Rüschenblusen der Damen treffen lässt.
In den New Yorker Wolkenkratzer der Word Wide Woppel Company entführt uns der Ausstatter durch eine Silhouette des Big Apples im Hintergrund, während im Vordergrund überdimensionale Schubladenschränke stehen, die sich um die eigene Achse drehen und an jeder Seite ein anderes Ausstattungselement offenlegen. So entstehen Poststelle, Waschraum der Chefetage, Vorzimmer und diverse Büros.
Weil das Buch von Abe Burrows, Jack Weinstock und Willie Gilbert (Übersetzung: Roman Hinze) ein veraltetes Frauenbild zeigt, hat Regisseur Matthias von Stegmann es behutsam modernisiert, indem Rosemary (Kathrin Finja Meier) die Rolle der traditionellen Hausfrau nicht kritiklos annimmt, sondern hinterfragt. In der Nummer „Ich glaub‘ an dich“ gibt es zudem einen Auftritt von ihr, den das Buch eigentlich nicht vorsieht, so dass der Song nicht zu einer reinen Machonummer verkommt, sondern ein Bekenntnis zur Partnerschaft ist. Damit setzt der Regisseur aber nicht einfach ein politisches Statement, sondern macht menschliche Beziehungen glaubhafter. Er überspitzt und persifliert Geschlechterrollen und liefert mit seiner Lesart eine genauso feine wie bissige Musical-Satire über Karrieresucht und die sozialen Mechanismen in den Büropalästen New Yorks.
Gesegnet ist diese Produktion zudem mit einer starken Riege von Darstellerinnen und Darstellern. Allen voran ist es Louis Dietrich als Finch, der dieses Stück trägt, gesanglich punktet, schauspielerisch als schlitzohriger Fensterputzer in jeder seiner Szenen glänzt und so auch einige Lacher verbuchen kann. Samuel Jonathan Bertz mimt als Bud Frump exzellent Finchs rachsüchtigen und intriganten Gegenspieler, der nur durch familiäre Beziehungen einen Job in der World Wide Woppel Company bekommen hat und sich als Running Gag ständig bei seiner Mutter ausheult.
Dem Firmenboss Biggley verleiht Uwe Tobias Hieronimi ein stattliches Profil, Kathrin Finja Meier verzaubert als Rosemary mit ihrem strahlenden Gesang und einem genauso taffen wie liebevollen Auftreten, Katharina Wollmann beeindruckt in der Rolle der Smitty als herrlich forsche Sekretärin des Personalchefs und Neele Kramer überzeugt als Miss Jones.
Eine starke Leistung gelingt darüber hinaus Lucia Bernadas Cavallini als Hedy La Rue durch ihr herausragendes Schauspiel und punktgenaues Timing. Ihre Hedy ist ein Karrieremänner verschlingender Vamp – so betritt sie den Wolkenkratzer im Kussmund-Kleid am Arm von Boss Biggley und verlässt das Gebäude im Dollarzeichen-Kleid am Arm des Aufsichtsratsvorsitzenden Wally Womper (vortrefflich: Eddie Mofokeng). Weiter können Daniel Wernecke (Gatch), Raphael Dörr (Twimble) und Johannes Osenberg (Tackaberry) positiv aus der Menge hervorstechen.
Der von Achim Falkenhausen hervorragend einstudierte Chor und die spritzige Choreografie von Leszek Kuligowski runden diese gelungene Musical Comedy ab, in der kabarettistische Nummern mit wirkungsvollen Pointen und süffisant-parodistischer Verve vorführen, welche Abgründe sich in Großunternehmen auftun. Erfrischend!
Text: Dominik Lapp