„Die Zauberflöte“ in Essen (Foto: Björn Hickmann)
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Auf den Kopf gestellt: „Die Zauberflöte“ in Essen

Sie ist die meistgespielte Oper weltweit: „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart (Musik) und Emanuel Schikaneder (Libretto) wird seit mehr als 200 Jahren immer wieder neu inszeniert und interpretiert. Die Neuinszenierung von Magdalena Fuchsberger am Aalto-Musiktheater in Essen wagt dabei jetzt einen mutigen Schritt und stellt das Stück regelrecht auf den Kopf. Die Handlung ist stark verändert und gekürzt, die gewohnte Leichtigkeit des Originals wird durch einen düsteren, fast dystopischen Unterton ersetzt.

Bereits die Ouvertüre lässt aufhorchen, als sie für das Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ unterbrochen wird. Die Prüfungen, die normalerweise den zweiten Akt prägen, beginnen hier unmittelbar im ersten Akt mit Taminos Kampf gegen eine Schlange, nachdem er und Pamina sowie Papageno und Papageno das „Aesculab“, eine Art Labor für Paartherapie und -forschung sowie Heilmethoden nach Aesculapius aufgesucht haben. Im Hintergrund sind klonartige Paare zu sehen, die jeweils die gleiche Kleidung tragen und die gleiche Haarfarbe haben, wie sie an weißen Tischen ein Memory-Spiel spielen und immer wieder bunte Flüssigkeiten zu sich nehmen.

Die Königin der Nacht und Sarastro – hier nicht verfeindet, sondern das anführende Duo einer sektenartigen Vereinigung – agieren aus einer futuristischen Kommandozentrale heraus, deren sterile Ästhetik und allsehende Überwachungskameras an die dystopische Welt von „Die Tribute von Panem“ erinnern. Trotz der visuellen Wucht dieser Bühne bleiben manche Handlungswendungen rätselhaft.

Warum etwa die Königin im zweiten Akt Sarastro, mit dem sie eigentlich gemeinsame Sache macht, plötzlich töten möchte und das gegenüber ihrer Tochter ankündigt, während er neben ihr sitzt und direkt im Anschluss „In diesen heil‘gen Hallen kennt man die Rache nicht“ verkündet, erschließt sich nicht.

Auch dass Papageno und Papagena gemeinsam das Labor betreten, Papageno aber schon kurz darauf davon berichtet, er habe „kein Weib, nicht einmal ein Mädchen“, ergibt wenig Sinn – ein Beispiel für die Schwächen der Inszenierung, die zwar provoziert und neu beleuchtet, aber nicht immer klar erzählt. Die Kürzungen in Schikaneders Libretto sind einerseits gelungen, weil so Tempo in die Handlung kommt, andererseits werden manche verbindenden und erklärenden Dialoge schmerzlich vermisst.

Das Bühnenbild von Monika Biegler changiert zwischen Futurismus und Retro-Charme. Während das Labor mit der Kommandozentrale High-Tech-Flair versprüht, erinnern andere Szenenbilder mit Blumentapeten an eine Wohnung der Siebzigerjahre. Diese Kontraste spiegeln sich auch in den Kostümen von Irina Spreckelmeyer wider. Mal wirken sie nostalgisch mit Anklängen an die Fünfzigerjahre, mal fantasievoll und fast wie aus einem Videospiel, etwa bei den drei Damen mit rosa Leuchtstab-Krönchen. Apropos Videospiel: Genial umgesetzt wurde auch die Feuer- und Wasserprobe, bei der Tamino und Pamina Virtual-Reality-Brillen tragen und das Publikum im Hintergrund visualisiert bekommt, was die beiden Protagonisten in ihren Brillen sehen.

„Die Zauberflöte“ in Essen (Foto: Dominik Lapp)

Musikalisch überzeugt die Produktion auf ganzer Linie. Christopher Moulds führt die Essener Philharmoniker mit einem klaren Gespür für Mozarts Partitur. Unter seiner Leitung erklingt die Musik mit einer wunderbaren Balance zwischen Leichtigkeit und Dramatik. Moulds gelingt es, die Musikerinnen und Musiker zu einem fein abgestimmten Ensemble zu formen, das sowohl in den lyrischen Momenten als auch in den spannungsreichen Passagen überzeugt.

Aljoscha Lennert gibt den Prinzen Tamino mit jugendlichem Charme und einem klaren, lyrischen Tenor. Lisa Wittig bringt Pamina mit warmem Sopran, der reich an Klangfarben ist, zum Strahlen. Judith Spiesser beeindruckt in der ikonischen Rolle der Königin der Nacht mit virtuosen Koloraturen und stimmlicher Präzision, Andrei Nicoara punktet als Sarastro mit seinem majestätischen Bass und zeigt in den tiefen Lagen eine beeindruckende stimmliche Resonanz.

Tobias Greenhalgh begeistert als Papageno mit seinem wohltönenden Bariton und einer charmant-komödiantischen Bühnenpräsenz. Elia Cohen Weissert bringt mit ihrer spritzigen und lebensfrohen Darstellung der Papagena eine frische Dynamik auf die Bühne, während Mykhailo Kushlyk seinem Monostatos eine eher bedrohliche Aura verleiht.

Die drei Damen, gesungen von Jeanne Jansen, Liliana De Sousa und Bettina Ranch, beeindrucken durch ein harmonisches Zusammenspiel und klanglich ausgewogene Stimmen. Zudem sorgt der Chor, einstudiert von Klaas-Jan de Groot, für kraftvolle und präzise Momente.

Letztendlich lässt die Inszenierung das Publikum hin und wieder ratlos zurück. Die Idee, Pamina und Tamino sowie Papagena und Papageno in einer Art Heilkunst-Sekte gefangen zu sehen, ist zwar interessant, wird aber nicht konsequent auserzählt. Auch das Ende – ein durch Polizeieinsatz beendetes Finale – wirkt eher verstörend als erklärend. Doch trotz solcher Schwächen lohnt sich ein Besuch, weil die Inszenierung überrascht und zum Nachdenken anregt.

Gerade die musikalische Umsetzung macht den Abend zu einem Erlebnis. Wer darüber hinaus bereit ist, sich auf einen ungewohnten Blickwinkel einzulassen und offene Fragen zu akzeptieren, wird mit einer spannenden, aber auch provokanten Neuinterpretation von Mozarts Meisterwerk belohnt.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".